Encrochat

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Seit 2016 bietet das Unternehmen Encrochat seinen Nutzern die Möglichkeit zur verschlüsselten Kommunikation. Mit einem Kryptohandy erhält der Nutzer vermeintlich die Möglichkeit, sicher vor Überwachung durch Polizei und Staatsanwaltschaft zu kommunizieren.

Doch schon ab Ende 2018 kamen französischen Ermittler an Kopien französischer Encrochatserver, von denen sie zunächst nur die Notizen entschlüsseln konnten. In der ersten Jahreshälfte 2020 gelang es dann Ermittlern aus Frankreich, den Niederlanden sowie der europäischen Polizeibehörde Europol endgültig auf Encrochatdaten zuzugreifen: Ein französisches Gericht genehmigte die Installation einer Spionagesoftware auf den Handys, sodass die Ermittler an die Daten zehntausender Nutzer gelangten. 

Im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens erhielten deutsche Ermittlungsbehörden Encrochat-Daten, was zur Einleitung zahlreicher Ermittlungsverfahren mit zahlreichen Durchsuchungen, Festnahmen und Beschlagnahmen von Betäubungsmitteln führte. Ganze Sonderkommissionen zur Auswertung der Encrochat-Inhalte wurden gebildet, allein in Hamburg werden hierfür 70 Beamte eingesetzt, die bereits Kokainmengen im Tonnenbereich sichergestellt haben. Identifiziert werden die Nutzer des Dienstes vor allem aus dem Inhalt der entschlüsselten Nachrichten, zum Beispiel über Fotos, Namen und Adressen.

Einige Encrochat-Nutzer steigen seitdem auf eine Kommunikation über Sky ECC, ein Konkurrenzunternehmen von Encrochat, um. Doch im März 2021 wurde bekannt, dass die Behörden schon 2018 begannen, auch dieses Netzwerk zu infiltrieren. Eine Milliarde Nachrichten fingen die Ermittler ab. Seit Februar 2021 wurden Chatinhalte live mitgelesen. Es folgte die größte Razzia in Belgiens Geschichte, begleitet von Hausdurchsuchungen und Festnahmen in den Niederlanden — unter anderem wurden 1,7 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Jean-Francois Eap, CEO von Sky Global, und Thomas Herdman, ein ehemaliger hochrangiger Vertriebspartner von Sky Global-Geräten, werden in den USA angeklagt. Laut Presseinformationen wurden die Sky ECC-Daten noch nicht umfassend an das Bundeskriminalamt herausgegeben. Deutsche Ermittler stellten sich bereits auf einen möglichen „Tsunami“ an neuen Informationen ein.

Die zentrale Frage, die sich Beschuldigten sowie Strafverteidigern stellt, ist: Sind die abgefangenen Daten aus Encrochat und Sky ECC im deutschen Strafprozess verwertbar? 

Das Landgericht Köln stellte in einem Beschluss relativ knapp fest, dass von einer Verwertbarkeit auszugehen sei, da es keine Hinweise gebe, die Daten seien rechtswidrig erlangt worden. 

Mit dieser Auffassung befindet sich das Gericht auf einer Linie mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung.

So hat sich das Oberlandesgericht Bremen Ende 2020 im Rahmen einer Haftbeschwerde in einem durch Encrochat-Daten angestoßenen Haftbefehl mit dem Thema befasst. Das Gericht äußert keine Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit. Es stellt fest, dass Maßnahmen ausländischer Ermittlungsbehörden nur eingeschränkt überprüfbar sind, jedoch auch Grenzen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention unterliegen und nicht wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen dürfen. Ein solcher Verstoß wird ohne nähergehende Begründung abgelehnt. Zudem sei selbst bei einem zur Rechtswidrigkeit der Maßnahmen führenden Verstoß nicht von einer Unverwertbarkeit auszugehen — dann sei eine Abwägung vorzunehmen, in die wiederum auch einfließe, dass es nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz hinsichtlich ausländischer Ermittlungsmaßnahmen gebe.  

Das Oberlandesgericht Hamburg (Az. 1 Ws 2/21) äußert hinsichtlich der Verwertbarkeit der Encrochatverläufe ebenfalls keine Bedenken. Es geht sogar so weit, dass es feststellt, dass selbst dann kein Verwertungsverbot vorliegt, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar und rechtsstaatswidrig begriffen werden würde.

Diese Aussage spiegelt die Tendenz der deutschen Rechtsprechung, nur selten Beweisverwertungsverbote anzunehmen, wieder. Dabei gibt es durchaus gute Gründe, die Verwertbarkeit von Daten aus den Einsätzen gegen Nutzer von Sky und Encrochat abzulehnen. 

Denn das Erlangen der Daten ist mit viel Intransparenz verbunden. Das Vorgehen der französischen Behörden wäre in Deutschland rechtswidrig gewesen. Es entspricht der Sache nach der Online-Durchsuchung aus dem deutschen Strafprozessrecht nach § 100b StPO. Eine solche Onlinedurchsuchung ist aber nur dann zulässig, wenn ein von bestimmten Tatsachen gestützter konkreter Verdacht einer Katalogtat gegen die betroffene Person vorliegt. 

Das Oberlandesgericht Hamburg argumentiert dahingehend für eine hypothetische Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht, indem es darlegt, die Ermittlungen seien gegen die Betreiber Encrochats gerichtet gewesen. Gegen diese liege der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung nahe sowie der der Beihilfe begangener Straftaten über Encrochat. 

Dies hieße, dass die Überwachungsmaßnahmen sich alleine gegen die Betreiber richteten und die daraus erlangten Daten gegen die Nutzer des Dienstes bloße Zufallsfunde wären. Angesichts des Ausmaßes der Überwachungsaktion sowie der Massen an Daten und daraus resultierenden Ermittlungsverfahren erscheint dieses Sichtweise jedoch fernliegend und überspannt den Begriff der „Zufallsfunde“ deutlich.

De facto handelt es sich um eine Massenüberwachung, die allein darauf gestützt war, dass die betroffenen Personen die angebotenen Krypothandys überhaupt nutzen. Letzteres ist an sich nicht strafbar — für die Behörden aber schon verdächtig genug. Nach Auffassung des OLG Bremen deute schon die bloße Verwendung von Handys des Anbieters auf ein „konspiratives Verhalten zur Begehung und Verdeckung von Straftaten“ hin. Diese Sichtweise ist höchst bedenklich: Aus dem bloßen Bedürfnis nach einer sicheren Verschlüsselung privater Kommunikation wird ein Tatverdacht konstruiert, der zur Rechtfertigung erheblicher Eingriffe in die Privatsphäre herangezogen wird. Ähnliche Bedenken äußert auch der Datenschutzbeauftragte Hamburgs, Johannes Caspar, im NDR. Er habe zahlreiche Fragen zu den Ermittlungen und es müsse sichergestellt werden, “dass Zugriffe auf die höchstpersönlichen Kommunikationsinhalte (…) nicht verdachts- und anlasslos erfolgen“. 

Genau dies ist hier geschehen und dabei garantiert das deutsche Grundgesetz jedermann das Recht auf private Kommunikation ohne Zugriff von staatlicher Seite, im vorliegenden Fall gewährleistet durch das sogenannte IT-Grundrecht. Zu diesem Recht hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine heimliche Infiltration (wie sie bei Sky ECC und Encrochat geschehen ist) jedenfalls zu präventiven Zwecken nur zulässig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Zumindest müssen bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Solche Tatsachen lassen sich aus Sicht der Strafverteidigung kaum aus der bloßen Wahl eines sicher verschlüsselten Mobiltelefons ableiten. 

Vor diesem Hintergrund erscheint das Vorgehen der Ermittler schlicht grundrechtswidrig. Daher überzeugt es auch nicht, sich darauf zu berufen, dass die Ermittlungen durch ausländische Behörden durchgeführt wurden und die deutschen Staatsanwaltschaften lediglich die Ergebnisse erhielten. Aus Sicht der Strafverteidigung weckt das Vorgehen den Eindruck der Strategie, die deutschen Vorschriften dadurch zu umgehen, dass mit dem Ländern kooperiert wird, deren Rechtsordnungen die Maßnahme zulassen und so die Früchte dieser ausländischen Behörden zu ernten. 

Eine effektive Strafverteidigung ist gehalten, sämtliche Rechtsmittel und Rechtswege gegen Maßnahmen, die auf Verwertung von Encrochatinhalten beruhen, auszuschöpfen und so eine Entscheidung von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht herbeizuführen.

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