Zeller | Khatib | Strafrecht Blog

Was tun, wenn ein Strafbefehl im Briefkasten liegt?

Einige Nachrichten aus den letzten Monaten:

FAZ-NET am 31.10.2023: A. Zverev soll eine hohe sechsstellige Geldstrafe wegen Körperverletzung bezahlen. Das Amtsgericht hat einen Strafbefehl gegen den Tennis-Olympiasieger verhängt. A. Zverev hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt.

SWR am 31.7.2023: Vier Umweltaktivisten der Gruppe die „Letzte Generation“ hatten im vergangenen Jahr die B29 bei Aalen (Ostalbkreis) blockiert und sich teilweise auch auf der Fahrbahn festgeklebt. Dafür hatten sie von der Staatsanwaltschaft Ellwangen Strafbefehle erhalten. Einer der Beschuldigten akzeptierte diesen, drei legten Einspruch ein. Deshalb müssen sie sich wegen Nötigung vor dem Amtsgericht Aalen verantworten.

Domradio vom 28.7.2023: Jesuit und Klimaaktivist erhebt Einspruch gegen Strafbefehl wegen Straßenblockade – Vorwurf der Nötigung.

BR24 vom 27.7.2023: Landgerichtspräsident soll Angestellte sexuell belästigt haben – Staatsanwaltschaft beantragt Strafbefehl.

I.

Was ist überhaupt ein Strafbefehl?

Wenn man an ein Strafverfahren denkt, hat man eine öffentliche Hauptverhandlung in einem Gerichtssaal vor Augen. Man stellt sich das Strafgericht mit seinen Richtern und Richterinnen vor, den Staatsanwalt oder die Staatsanwältin und uns, die Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen, alle in ihren schwarzen Roben. Und im Mittelpunkt steht der oder die Angeklagte. Eine solche Hauptverhandlung kann wenige Minuten dauern oder über mehrere Jahre gehen. So dauerte das Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem OLG München über fünf Jahre, bis am 11. Juli 2018 am 438. Verhandlungstag das erstinstanzliche Urteil fiel.

Ein Großteil der Strafsachen wird heute jedoch im Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO erledigt. Im Jahr 2021 hat die Staatsanwaltschaft laut ihrer Statistik 4.879.786 Ermittlungsverfahren erledigt. In 7% (342.707) hat sie Anklage erhoben und in 10,7% (523. 882) einen Strafbefehl beantragt. Übrigens kam es in über 1,3 Millionen Fällen (26,7%) zu einer Einstellung nach § 153 oder § 153a StPO. Die Einstellung nach diesen Vorschriften ist ein Verteidigungsziel einer engagierten und fachkundigen Strafverteidigung. Das Strafbefehlsverfahren führt zu einer rechtskräftigen Verurteilung in einem schriftlichen Verfahren; und das ohne eine mündliche Hauptverhandlung, bloß auf der Grundlage eines hinreichenden Tatverdachts. Oder: Sie werden zu einer Strafe verurteilt, ohne dass ein Richter oder eine Richterin persönlich und unmittelbar mit Ihnen gesprochen hat. Das Strafbefehlsverfahren ist ein schriftliches Strafverfahren.

Wegen seines summarischen Charakters gilt das Strafbefehlsverfahren nicht für alle Strafsachen.

§ 407 Abs. 1 StPO:
Im Verfahren vor dem Strafrichter und im Verfahren, das zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehört, können bei Vergehen auf schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft die Rechtsfolgen der Tat durch schriftlichen Strafbefehl ohne Hauptverhandlung festgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft stellt diesen Antrag, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich erachtet. Der Antrag ist auf bestimmte Rechtsfolgen zu richten. Durch ihn wird die öffentliche Klage erhoben.

Da die Masse der Straftaten im Bereich der kleinen oder mittleren Kriminalität und daher im Zuständigkeitsbereich der Amtsgerichte liegt, ist der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens ein großer. Das Strafbefehlsverfahren findet zunehmend auch im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts Anwendung und ist dort oft Gegenstand der konsensualen Verständigung.

Der Vorteil des Strafbefehlsverfahrens besteht unter anderem in der Arbeitsentlastung für Strafgericht, Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung. Die Vermeidung einer öffentlichen Hauptverhandlung kann aber auch im Interesse des oder der Beschuldigten liegen, da ein Strafbefehl die stille Erledigung der Strafsache ohne öffentliche Aufmerksamkeit bedeutet.

Natürlich kann und darf eine strafgerichtliche Verurteilung in einem Rechtsstaat nicht erfolgen, ohne dass die verurteilte Person vorher angehört worden ist. Das Recht auf rechtliches Gehör hat in Deutschland Verfassungsrang, vgl. Art. 103 GG.

Und das zeigt sich in § 163a Abs. 1 StPO:
Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, dass das Verfahren zur Einstellung führt. In einfachen Sachen genügt es, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.

Die Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung ist für das summarische Strafbefehlsverfahren charakteristisch. Danach entscheidet die Staatsanwaltschaft über den Abschluss des Ermittlungsverfahrens: Einstellung, Anklage oder Strafbefehl.

Achtung: Wenn Sie von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gemäß § 163a Abs. 1 StPO zu einer Vernehmung als beschuldigte Person geladen werden, müssen Sie bei einer Ladung durch die Staatsanwaltschaft auch dorthin gehen. Das gilt auch für eine richterliche Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung.

§ 163a Abs. 3 StPO:
Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen.

Das gilt nicht bei einer polizeilichen Ladung. Das ergibt sich aus § 163a Abs. 4 StPO. Im Gegensatz zu § 163a Abs. 3 – Staatsanwaltschaft – ist dort eine solche Pflicht nicht aufgeführt.

Zu diesem Zeitpunkt, bei einer Ladung zur Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren, aber auch bei der bloßen Aufforderung zu einer schriftlichen Äußerung sollten Sie die professionelle Hilfe eines Strafverteidigers oder einer Strafverteidigerin suchen. Wir raten Ihnen, sich NIE allein gegenüber der Staatsanwaltschaft oder der Polizei im Ermittlungsverfahren zu äußern, weder mündlich noch schriftlich. Das gilt auch, wenn Sie unschuldig sind. Ohne vorherige Akteneinsicht und ohne professionelle Beratung durch fachkundige Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen sollten Sie sich als beschuldigte Person NIE in einem Strafverfahren äußern.

II.

Zurück zum Strafbefehlsverfahren: Zum Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls als solchem wird die beschuldigte Person jedoch nicht gehört. Der Strafbefehl wird ohne ihre vorherige Anhörung auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht erlassen.

§ 408 Abs. 3 StPO:
Der Richter hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu entsprechen, wenn dem Erlass des Strafbefehls keine Bedenken entgegenstehen.

Auf Grund des besonderen Charakters des Strafbefehlsverfahrens sind die möglichen strafrechtlichen Sanktionen eingeschränkt, vgl. § 407 Abs. 2 StPO. Im Wesentlichen beinhaltet der Strafbefehl die Geldstrafe und bei Straßenverkehrsdelikten das Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis mit allen erheblichen verkehrsrechtlichen Folgen. Insbesondere Straßenverkehrsdelikte sind ein weiter Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens. Und: „Hat der Angeschuldigte einen Verteidiger, so kann auch Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.“ Eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung kann nicht im Strafbefehlsverfahren verhängt werden.

Erlässt der Amtsrichter den Strafbefehl, ist er an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden und weder zu einer Abänderung im tatsächlichen Tatvorwurf und seiner rechtlichen Würdigung noch zu einem abweichenden Rechtsfolgenausspruch berechtigt. Die antragsgemäße Entscheidung setzt die völlige Übereinstimmung zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Gericht voraus. Hier zeigt sich die nur oberflächliche – eben summarische – Prüfung durch das Gericht = Entscheidung nach Aktenlage. Rechtsstaatlichen Bedenken wird entgegengehalten, dass der oder die Verurteilte Einspruch erheben kann. Beabsichtigt der Strafrichter oder die Strafrichterin, von dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls abzuweichen, führt er oder sie eine Hauptverhandlung durch.

Und dann landet der Strafbefehl eines Tages in Ihrem Briefkasten = Zustellung.

III.

Und jetzt?

Vielleicht sind Sie erschrocken, überrascht? Vielleicht haben Sie die Aufforderung zur schriftlichen Äußerung nach § 163a Abs. 1 StPO nicht ernst genommen? Vielleicht haben Sie gedacht, mit ihrer schriftlichen Äußerung wäre alles erledigt? Und dann erhalten Sie einen Strafbefehl, ohne dass ein Richter oder eine Richterin Sie gesehen und angehört hat.

§ 410 StPO:
(1) 1Der Angeklagte kann gegen den Strafbefehl innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bei dem Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch einlegen. 2[…]
(2) […]
(3) Soweit gegen einen Strafbefehl nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, steht er einem rechtskräftigen Urteil gleich.

Einspruch oder nicht?

Ohne Ihren Einspruch erlangt der schriftliche Strafbefehl die Wirkung eines rechtskräftigen Strafurteils, vgl. § 410 Abs. 3 StPO; und das eben ohne gerichtliche Hauptverhandlung, ohne richterliche Anhörung, auf der Grundlage eines hinreichenden Tatverdachts. Und daher hat ein rechtskräftiger Strafbefehl auch alle weiteren Folgen: bspw. Eintragung in das Bundeszentralregister oder negative Folgen in Verwaltungsverfahren (Gewerbezulassung).

Achtung: Jetzt sollten Sie aber wirklich die Beratung durch fachkundige und engagierte Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger suchen. Die sachliche und strafrechtliche Beurteilung über einen Einspruch gegen einen Strafbefehl und seine Folgen ist ohne strafrechtliches und strafprozessuales Fachwissen nicht möglich. Und das vor allem, weil im Strafbefehlsverfahren das sog. Verschlechterungsverbot nicht gilt. Das bedeutet, dass das Gericht in dieser Verfahrenssituation nicht an den vorherigen Strafbefehl gebunden ist. Das bedeutet, dass die Strafe niedriger, aber eben auch höher ausfallen kann. Und die Zeit drängt: Sie haben nur zwei Wochen Zeit! Diese sehr knappe Frist ist durchaus kritikwürdig. Während die Strafverfolgungsorgane Zeit und Ressourcen haben, wird die oder der Verurteilte unter zeitlichen Druck gesetzt. In dieser Drucksituation aus Angst oder Überraschung oder Überforderung suchen Sie Beistand durch eine engagierte Strafverteidigung! Das ist Ihr Recht.

Übrigens: Es ist nicht die zwingende Folge eines Einspruchs gegen den Strafbefehl, dass es jetzt zu der Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung kommt, die Sie eventuell gerade vermeiden wollen. Das Gericht ist nicht gehindert, ohne Hauptverhandlung das Verfahren nach den §§ 153 ff. StPO einzustellen, gegebenenfalls nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldsumme. Darauf wirken wir als erfahrene Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen hin. Das ist – soweit möglich – unser Verteidigungsziel. Auf diesem strafprozessualen Weg lassen sich die Vorteile des summarischen Strafbefehlsverfahrens auch erreichen, durch Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO. Und eine solche Einstellung wird nicht im Bundeszentralregister eingetragen. Das verlangt jedoch eine möglichst frühzeitige Kommunikation zwischen Strafgericht und Staatsanwaltschaft auf der einen Seite und professioneller und engagierter Strafverteidigung auf der anderen Seite.

IV.

Mit dem vereinfachten Strafbefehlsverfahren als Form eines schriftlichen Verfahrens hat sich in der Strafprozessordnung und in der Strafrechtspraxis neben dem „normalen“ Strafverfahren und dessen öffentlicher Hauptverhandlung ein praxisrelevanter Zweig der Erledigung von Strafverfahren gebildet. Der Strafbefehl ist nicht zu verharmlosen. Er steht einem Strafurteil in seiner tatsächlichen und rechtlichen Wirkung gleich. Das verlangt nach einer richtigen und rechtzeitigen – zwei Wochen – Reaktion von Ihrer Seite, wenn Sie Adressat eines Strafbefehls werden. Anwendung und Durchführung des Strafbefehlsverfahrens verlangen nach einer frühen und steten professionellen und engagierten Hilfe durch erfahrene Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger.

Wir stehen Ihnen in dieser und jeder anderen Situation mit Fachkunde und Enthusiasmus als erfahrene Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen zur Seite.

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