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„ACAB“ – Alle Polizisten sind …

Beleidigung und Meinungsfreiheit – dieser Konflikt taucht immer wieder im Verhältnis Bürger und Staat und Bürgerin und Polizei auf. Das zeigt sich anschaulich in der Buchstabenfolge „ACAB“.

Vor einiger Zeit sah ich in der U-Bahn ein Mädchen mit einem Tattoo auf dem Arm: ACAB. Diese Buchstaben kann man in Berlin, Köln und überall auf der Welt als Graffiti auf Hauswänden sehen. Diese Abkürzung wird auf T-Shirts und Basecaps gedruckt. Wir sehen sie auf Transparenten auf Demonstrationen und bei Fußballspielen im Stadion. Was bedeutet ACAB? „All Cops Are Bastards“. Das Wörterbuch beschreibt einen Bastard als nicht eheliches Kind eines Adeligen und einer nicht standesgemäßen Frau bzw. allgemein als einen minderwertig empfundenen Menschen. Polizisten und Polizistinnen stellen regelmäßig Strafantrag wegen …. Beleidigung nach § 185 StGB: „Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätigkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Die strafrechtliche Frage lautet: Ist es eine strafbare Beleidigung, wenn man die Meinung äußert, dass alle Polizisten bastards sind? Das ist nicht nett und wer das sagt, will zum Ausdruck bringen, dass Polizisten keine vollwertigen Menschen sind. Beleidigung ist die Kundgabe von Missachtung und Nichtachtung und verletzt die Ehre einer anderen Person. Sind daher das Tattoo des Mädchens oder das Graffiti an der Hauswand als Beleidigung strafbar, wenn das ein Polizist oder eine Polizistin sieht?

Das ist ein besonderes Rechtsproblem der Beleidigungsdelikte, das auch uns in der Strafverteidigung immer wieder begegnet. Die Beleidigung wird ja nicht direkt einem individuellen Opfer gesagt: „Du bist …“. Das wäre problemlos. Die Straftat der Beleidigung schützt die Ehre der einzelnen Person = Individualehre. Die Beleidigung muss sich auf individuelle Personen beziehen. Die Äußerung lautet: „Alle Polizisten …“ Alle? Wer sind alle? Die Polizisten und Polizistinnen in Berlin, in Köln, alle Polizisten in NRW oder Deutschland, der Welt oder nur die Polizisten und Polizistinnen, die im Fußballstadion Dienst machen?

Dazu gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung der Gerichte bis zum höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

„Voraussetzung der Beleidigung einer Mehrheit einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung ist, dass sich die ehrkränkende Äußerung gegen eine deutlich aus der Allgemeinheit hervortretende, nach äußeren Merkmalen sozial abgrenzbare sowie hinreichend überschau- und individualisierbare Personengesamtheit richtet, dass also ein erkennbarer Bezug der Äußerung auf einen hinsichtlich der Individualität seiner Mitglieder hinreichend umgrenzten und überschaubaren Personenkreis besteht.“

Dieser Satz stammt aus einem Urteil des OLG Karlsruhe (BeckRS 2014, 11644). Es ging um ein Plakat mit der Aufschrift „ACAB“, das Fußballfans im Stadion hochhielten.

„Eine für die Annahme einer Beleidigung einzelner Polizeibeamter genügende Individualisierung und Konkretisierung liegt hingegen dann vor, wenn aus dem Inhalt und den Umständen der herabsetzenden Äußerung ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Vorkommnis erkennbar ist und/oder wenn aus dem Sinngehalt der Äußerung deutlich wird, dass eine persönlich, örtlich oder in sonstiger Weise hinreichend abgrenzbare Gruppe von Polizeibeamten -so etwa die Beamten eines bestimmten polizeilichen Einsatzes oder einer bestimmten polizeilichen Einrichtung – getroffen werden soll.“

Das ist wie sooft kompliziertes Juristendeutsch. Worum geht es konkret?

Individuelle Beleidigung oder allgemeine Kritik am Staat? Die rechtliche Würdigung verlangt, dass sich eine Beleidigung auf konkrete und individuelle Personen bezieht. Man kann auch die einzelnen Personen einer individuell abgrenzbaren Gruppe beleidigen. Aber die Gruppe muss von der Allgemeinheit abgrenzbar sein. Das ist eine schwierige rechtliche Abgrenzung, die über Beleidigung „ja“ oder „nein“ entscheidet – strafbar oder nicht strafbar. Das Tattoo „ACAB“ des Mädchens in der U-Bahn richtet sich in der konkreten Situation nicht gegen einen individuellen Polizisten. Auch wenn zufällig ein Polizist oder eine Polizistin in den Zug einsteigt und das liest. In der Öffentlichkeit ist das nicht verboten. Das Mädchen beleidigt nicht eine Person oder eine abgrenzbare Gruppe von Polizisten. Sie kritisiert die Polizei als Ganzes, sie kritisiert die Polizei als Teil des Staates als deren Institution. Die Ehre des Staates oder der Polizei ist nicht durch § 185 StGB geschützt. Solche Kritik muss erlaubt sein in unserem liberalen Rechtsstaat. Die Meinungsfreiheit ist in Art. 5 des Grundgesetzes geschützt.

Das Bundesverfassungsgericht (NStZ-RR 2019, 277) sagt: „Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist.“

Kritik am Staat und seinen Organen – also auch der Polizei – muss in einem Rechtsstaat erlaubt sein. Die rechtliche Würdigung ändert sich, wenn das Mädchen mit dem Tattoo gezielt auf einen Polizisten oder eine Gruppe von wenigen Polizisten zuläuft und das Tattoo zeigt. In diesem Fall sagt sie durch ihr gezieltes Verhalten ohne Worte: „Du bist, ihr seid… .“. Jetzt erhält ihre Äußerung einen individuellen Bezug und ist eine Beleidigung der einzelnen Person/en auch als Teil der überschaubaren Gruppe.

Schwierig ist die strafrechtliche Auslegung besonders bei Fußballspielen, wenn Fans solche Plakate hochhalten. Sind alle Polizisten als Teil der deutschen Polizei gemeint? Dann ist das eine allgemeine Kritik an der Polizei als Institution als Kritik am Staat. Wenn sich eine Äußerung allgemein und pauschal auf eine individuell kaum überschaubare Gruppe bezieht, fehlt der individuelle Bezug. Oder ist nur die Gruppe der im Stadion anwesenden Polizisten als abgrenzbare und individuell überschaubare Gruppe gemeint? Dann ist jeder einzelne dieser anwesenden Polizisten beleidigt worden. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.

ACAB – wenn Sie in der Öffentlichkeit mit einem T-Shirt, einem Basecap oder mit einem Plakat mit diesen Buchstaben auftreten, müssen Sie mit einer Strafanzeige rechnen. Staatsanwaltschaft und Gerichte entscheiden abhängig vom Einzelfall unterschiedlich und unvorhersehbar – individuelle Beleidigung oder allgemeine Kritik an der Polizei?

Wir alle sind als Strafverteidiger und Strafverteidigerin für Sie in diesem Fall als Beistand da.

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