Fahrzeug, Kraftfahrzeug oder Fahrrad? 1,1 Promille BAK oder 1,6 Promille BAK? Helmpflicht? Welche Regeln gelten für die Benutzung von E-Scootern?
Polizeimeldung Köln: „Mit über 1,5 Promille und schweren Gesichtsverletzungen ist am Dienstagmorgen (27. September) eine 24-jährige Kölnerin nach einem Sturz mit ihrem Leih-Scooter in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Polizisten ordneten noch in der Ambulanz die Entnahme einer Blutprobe an und beschlagnahmten den Führerschein der alkoholisierten Frau. Nach Sichtung von Aufnahmen der polizeilichen Videobeobachtung kam die 24-Jährige gegen 3.45 Uhr auf dem Hohenzollernring mutmaßlich ohne Fremdeinwirkung zu Fall. Zeugen hatten anschließend die bewusstlose Frau auf dem Gehweg liegend gefunden und einen Krankenwagen gerufen.“
E-Scooter – welche Regeln gelten?
Zuerst einmal die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung v. 6.6.2019.
Sind E-Scooter Fahrzeuge im Sinne der §§ 316 und 315c StGB?
Das sind die Delikte „Trunkenheit im Straßenverkehr“ und „Gefährdung des Straßenverkehrs“. Es geht vor allem um Trunkenheitsfahrten.
Die Strafgerichte wenden mehrheitlich – Zweifel beim LG Leipzig v. 24.06.2022 (BeckRS 2022, 22219) – auf E-Scooter die Promillegrenzen von Kraftfahrzeugen = 1,1 Promille BAK und nicht die für Fahrräder = 1,6 Promille BAK an. Als Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit für Kraftfahrzeuge gilt 1,1 Promille. Absolute Fahruntüchtigkeit bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob alkoholbedingte Ausfallerscheinungen auftreten. Die sog. relative Fahruntüchtigkeit erfordert im konkreten Einzelfall den Nachweis, dass der oder die Fahrer/in nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug, den E-Scooter auf längere Strecke sicher zu steuern. Schon ab 0,3 Promille mit dem E-Scooter liegt bei alkoholbedingten Ausfallerscheinungen eine relative Fahruntüchtigkeit vor. Beispiele sind Schlangenlinienfahrt oder ein alkoholtypischer Unfall. Das muss nachgewiesen werden. Zu fragen ist, ob der Fahrfehler auch im nüchternen Zustand vorgekommen wäre. Hier ist rechtsanwaltliche Beratung geboten.
Es droht bei einem Verstoß gegen § 316 StGB für Ersttäter/innen eine Geldstrafe. Bei wiederholten Verstößen oder bei erheblichen Folgen in § 315c StGB droht Freiheitsstrafe.
Sind E-Scooter Kraftfahrzeuge im Sinne des § 69 StGB?
Die gefürchtete Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB mit allen ihren Folgen steht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs. Sind E-Scooter Kraftfahrzeuge? Oder sind sie verkehrsrechtlich als Fahrräder zu behandeln?
Wir blicken in die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung.
§ 1 Abs. 1: „Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne dieser Verordnung sind Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb … .“
Aber: In der Anwendung des § 69 StGB beim Gebrauch von E-Scooter ist die Rechtsprechung der Gerichte nicht einheitlich. Daher ist eine anwaltliche Beratung durch im Verkehrsstrafrecht erfahrene Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen empfehlenswert.
In einer aktuellen Entscheidung v. 24.06.2022 ist das LG Leipzig (BeckRS 2022, 22219) sehr skeptisch in dieser Rechtsfrage: „Es erscheint daher auch nicht zutreffend, die Augen vor den Eigentümlichkeiten dieses „Elektrokleinstfahrzeuges“ zu verschließen bei der Frage, ob von einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter im Regelfall auf die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeugen geschlossen werden kann bzw. ob bei der Anlasstat der Trunkenheit im Verkehr unbesehen von der Regelwirkung aus § 69 Abs. 2 StGB auszugehen ist, ohne zu fragen, ob diese Regelwirkung per se auch bei der Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter gelten kann.“
Das LG Leipzig bewertet in seiner sehr ausführlichen Entscheidung den völlig anderen Charakter des Fortbewegungsmittels zwischen einem führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeug und einem E-Scooter. Tendenziell sieht das Gericht eher einen dem Fahrrad vergleichbaren Charakter.
„§§ 69, 69 a StGB sollen die Allgemeinheit vor Kraftfahrern schützen, die sich durch eine Trunkenheitsfahrt als verantwortungslos erwiesen haben. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass derjenige, der sich mit einer BAK von über 1,1 Promille an das Steuer seines (führerscheinpflichtigen) Fahrzeuges setzt, durchaus weiß, dass er eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellt, wenn er in deutlich alkoholisiertem Zustand mit einem Kraftfahrzeug, das erhebliches Gewicht hat und erhebliche Geschwindigkeit erreicht, am Straßenverkehr teilnimmt.
Der Schaden, der entsteht, wenn ein Kraftfahrzeug mit einem anderen kollidiert, ist aber offensichtlich und offenkundig nicht zu vergleichen mit dem Schaden, der entstehen könnte, würde ein E-Scooter, der eine maximale Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht und ein Gewicht von vielleicht 25 kg aufweist, mit einem Auto kollidieren. Das vom E-Scooter ausgehende Gefahrenpotential ist schlechterdings nicht vergleichbar mit dem Gefahrenpotential, das von einem führerscheinpflichtigen Fahrzeug ausgeht. Die Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter gefährdet primär den E-Scooter-Fahrer, nicht aber andere Verkehrsteilnehmer.“
Daher bezweifelt das LG Leipzig zu Recht die in § 69 Abs. 2 StGB angeordnete Regelwirkung. Zumindest aber führten besondere Umstände des konkreten Einzelfalls bei der Benutzung des E-Scooter zu einer Ausnahme von der Regelwirkung: verkehrsarme Zeit nachts um 3:45 Uhr, Benutzen des breiten Radweges, keinerlei Ausfallserscheinungen beim Benutzer, kurzer Fahrweg, keine Gefährdung anderer.
Andere Gerichte – etwa das LG Köln (BeckRS 2020, 37880) – neigen häufig zu pauschalen Entscheidungen und zur generellen Annahme der Regelvermutung des § 69 StGB.
Die unterschiedliche Rechtsprechung der Strafgerichte zu § 69 StGB bietet ein erhebliches Argumentationspotential für die Strafverteidigung. Das gilt es im Interesse unserer Mandanten und Mandantinnen zu nutzen. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist eine belastende Maßnahme. Diese gilt es zu vermeiden. Dazu bestehen abhängig vom konkreten Einzelfall der Benutzung eines E-Scooter im Straßenverkehr durchaus Erfolgschancen.
§ 24a StVG?
Ab 0,5 Promille bis 1,09 Promille führt das bloße Führen eines Kraftfahrzeugs = E-Scooter bei einem Erstverstoß zu einem Regelbußgeld von 500 EUR, einem Monat Fahrverbot und zwei Punkte in „Flensburg“ = Nr. 241 Bußgeldkatalog.
Und muss ich einen Helm tragen? Was sagt das Gesetz dazu?
„Nein“ – § 21a StVO erwähnt Elektrokleinstfahrzeuge nicht.
Ich sehe in Köln und auch in anderen Städten häufig, dass zwei Personen auf einem E-Scooter fahren. Ist das erlaubt?
„Nein“ – § 8 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung verbietet eine Personenbeförderung. Und das ist dann eine Ordnungswidrigkeit nach § 14 Nr. 4 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (10 EUR).
Natürlich gibt es noch viel mehr Vorschriften und Regeln für den Gebrauch von E-Scootern. Und stets ist zu fragen, wie Sie sich gegen polizeiliche, staatsanwaltliche und gerichtliche Entscheidungen und Urteile mit Rechtsmitteln wehren können.
Diese und viele andere Regeln und Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Gebrauch von E-Scootern sind umstritten und strafrechtlich und verkehrsrechtlich nicht einfach zu beantworten. Verkehrsstrafrecht und vor allem die verkehrsrechtlichen Rechtsfolgen – nicht zu vergessen die MPU – wie Entziehung der Fahrerlaubnis oder Fahrverbot können für Sie erhebliche persönliche und berufliche Konsequenzen haben, an die Sie bei der Benutzung eines E-Scooter in Partylaune nach einigen Kölsch oder Gin Tonic nie gedacht haben. Aber: Die Gerichte bewerten E-Scooter häufig wie einen PKW oder ein Motorrad und nicht wie ein Fahrrad. Und das, obwohl E-Scooterfahrer und E-Scooterfahrerinnen vorrangig den Fahrradweg benutzen müssen (§ 10 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung). Das erscheint in vielen Fragen unverhältnismäßig, ist jedoch wiederholte, aber eben nicht einheitliche Rechtspraxis. Also: Don’t drink and drive.
Wir sind auch im Verkehrsstrafrecht als Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen für Sie und Ihre Probleme da!