Bei einer strafprozessualen Durchsuchung der Wohn- oder Geschäftsräume nach den §§ 102 ff StPO wird dem Inhaber der Räumlichkeit häufig das Benutzen des Telefons von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei verboten. Ist das rechtlich zulässig?
Die Anordnung und die Durchführung einer strafprozessualen Durchsuchung im strafprozessualen Ermittlungsverfahren sind erhebliche Eingriffe in die persönliche Lebenssituation und in die Freiheitsrechte der verdächtigten Person und ihrer Familie, ihrer Angestellten oder der Kunden und Patienten. Stellen Sie sich vor, ihre Privatwohnung, ihre Geschäftsräume oder ihre Arztpraxis werden in den Morgenstunden von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei durchsucht. Die rechtliche Grundlage für eine Durchsuchung bilden die §§ 102 ff. StPO. Stress, Schrecken, Panik, Angst sind die Reaktion der betroffenen Personen. Was tun?
Wichtig: Machen Sie keine Aussage zur Sache während der Durchsuchung! Sie haben das Recht zum Schweigen. Lassen Sie sich NICHT in ein „Gespräch“ verwickeln. Schweigen Sie! Diesen Rat können wir nicht oft genug wiederholen.
Und rufen Sie sofort und umgehend einen Strafverteidiger oder eine Strafverteidigerin an. In dieser Situation kann es vorkommen, dass Ihnen von den Durchsuchungspersonen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei das Telefonieren untersagt wird.
Ist das rechtlich erlaubt?
Die Strafprozessordnung enthält keine ausdrückliche oder bestimmte Rechtsgrundlage für eine solche „Telefonsperre“ für einen Anruf bei dem Rechtsanwalt oder der Rechtsanwältin während einer Durchsuchung. Im Gegenteil: § 137 StPO spricht für eine solches Recht auf den Anruf:
§ 137 StPO: „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen.“
Das Recht auf anwaltlichen Beistand ist ein Element des freiheitlichen Rechtsstaats. In einem Strafverfahren ist das Recht auf Strafverteidigung ein Kernelement des Rechtsstaats. Das verlangt auch, dass dieses Recht nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass das Recht aus § 137 StPO effektiv durchgesetzt werden kann. Eine pauschale und generelle Telefonsperre während der strafprozessualen Durchsuchung verhindert die Ausübung dieses Rechts.
Das Motiv und die Begründung der Strafverfolgungsbehörden für ein solches Benutzungsverbot des Telefons sind, dass Verdunkelungsmaßnahmen wie etwa Anrufe bei Komplizen verhindert werden sollen.
Als rechtliche Grundlage werden regelmäßig zwei Vorschriften genannt: die §§ 105 und 164 StPO.
Im Wortlaut nennt § 105 StPO – Verfahren bei der Durchsuchung – eine solche Maßnahme nicht. Das Recht spricht von einer sog. Annexkompetenz.
Das LG Frankfurt (NStZ 2008, 591) ist zu Recht sehr kritisch:
„Zwar ermächtigt diese Vorschrift auch zur Anwendung unmittelbaren Zwangs, jedoch nur zu solchen Zwangsmaßnahmen, die der Durchsetzung der gegenständlichen Durchsuchung dienen, so bei einer Wohnungsdurchsuchung zum gewaltsamen Öffnen der Wohnung bzw. bei einer Personendurchsuchung gegebenenfalls zur kurzfristigen Festnahme und Durchsuchung der Person auf der Polizeiwache (…). Zu weitergehenden Maßnahmen, insbesondere eines „Stubenarrests” oder gar – wie vorliegend – einer präventiven Ingewahrsamnahme im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung, um das Beiseiteschaffen von Beweismitteln oder Vermögenswerten zu verhindern, berechtigt § 105 StPO nicht.“
Eine generelle Telefonsperre während einer Durchsuchung ist ein erheblicher Eingriff in die Freiheits- und Verteidigungsrechte der verdächtigten Person. Die Kontaktaufnahme mit dem Strafverteidiger oder der Strafverteidigerin während einer laufenden Durchsuchung kann und darf nicht auf einer unbestimmten Grundlage wie § 105 StPO getroffen werden.
Und § 164 StPO – Festnahme von Störern – verlangt für die dort erwähnten und die miterfassten weniger grundrechtsintensiven Zwangsmaßnahmen als Voraussetzung eine Störung.
Das LG Frankfurt (NStZ 2008, 591):
„Auch aus § 164 StPO kann vorliegend keine Ermächtigungsgrundlage für die Festnahme des Beschuldigten. entnommen werden. Erforderlich wäre hier eine bereits vorliegende oder unmittelbar bevorstehende Störung. Der Störer muss also störend handeln oder doch unmittelbar zu einer Störungshandlung ansetzen: Die bloße, auch durch Tatsachen gestützte Erwartung, dass es zu einer Störung kommen könne, rechtfertigt noch keine Maßnahmen nach § 164 StPO.“
Allein eine generelle Unterstellung der Staatsanwaltschaft oder der Polizei, dass man einen Komplizen anrufen werde oder sonstige Verdunkelungsmaßnahmen durch den Anruf durchführen wolle, kann und darf einen solchen erheblichen Eingriff in ein rechtsstaatliches Recht nicht rechtfertigen. Der § 137 StPO spricht dagegen. Wie sooft streitet Freiheit gegen Sicherheit. Wie sooft berufen sich die Strafverfolgungsbehörden auf allgemeine Sicherheitsbedenken und achten die rechtsstaatliche Freiheit gering.
Die Staatsanwälte und die Staatsanwältinnen, aber auch die Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen wissen um die rechtsstaatliche Bedeutung des § 137 StPO. Trotzdem kann es im Einzelfall bei einer strafprozessualen Durchsuchung zu der Anordnung einer generellen „Telefonsperre“ kommen. Beharren Sie selbstbewusst auf Ihr Recht. Im Einzelfall kann es genügen, dass der Anruf von den anwesenden Beamten gemacht wird. So wird sichergestellt, dass Sie wirklich Ihren Strafverteidiger oder Ihre Strafverteidigerin anrufen. Aber dann dürfen weder die Staatsanwaltschaft noch die Polizei das Gespräch zwischen Ihnen als Beschuldigter oder Beschuldigte und uns, den Strafverteidigern, mithören – § 148 StPO = Kommunikation des Beschuldigten mit dem Verteidiger.
Es ist zu wünschen, dass die restriktive Linie des LG Frankfurt auch in der Ausbildung der Polizei gelehrt und gelernt wird und sich in der strafprozessualen Praxis durchsetzt. Konkrete Freiheit geht vor genereller Sicherheit. Wir stehen Ihnen als Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen bei einer Durchsuchung und in jeder Situation mit beruflicher Erfahrung und Enthusiasmus zur Verfügung.