Inhaftierte sind nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Durch körperliche Durchsuchungen wird oft auch in ihre Intimsphäre eingegriffen. Dies betrifft Grundrechte der Betroffenen im besonderen Maße und muss daher gut begründet werden. Dass dafür die Verwendung eines bloßen Formblattes durch die Justizvollzugsanstalt nicht ausreicht, hat nun das Bundesverfassungsgericht entschieden.
BVerfG vom 23.09.2020, Az. 2 BvR 1810/19: Das Bundesverfassungsgericht hat einem Gefangenen, der nach einem Familienbesuch körperlich durchsucht wurde und sich dagegen wehrte, eine Grundrechtsverletzung zugestanden.
Der Sachverhalt: Der Beschwerdeführer verbüßt seit 2009 eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Nachdem er in der dortigen Cafeteria Besuch von Familienmitgliedern erhalten hatte, wurde er durchsucht und musste sich dafür vollständig entkleiden. Dabei anwesend waren nicht nur, wie üblich, zwei Bedienstete der Anstalt, sondern zusätzlich ein Auszubildender. Diese Behandlung hielt der Beschwerdeführer für rechtswidrig und ging dagegen gerichtlich vor.
Die Strafvollstreckungskammer des Landesgerichts Regensburg wies seinen Antrag jedoch als unbegründet zurück und begründete dies wie folgt: Die Durchsuchung erfolgte auf der gemäß Art. 91 Abs. 3, 2 des bayrischen Strafvollzugsgesetzes zulässigen Anordnung des Anstaltsleiters, jeden sechsten Gefangenen nach einem Besuch von außerhalb körperlich zu durchsuchen, soweit nicht die Gefahr eines Missbrauchs besonders fernliegend ist. Fernliegend sei ein Missbrauch hier schon deshalb nicht, weil gleichzeitig noch drei weitere Gefangene Besuch in der Cafeteria erhielten, diese also stark frequentiert und schwerer zu überwachen war.
Das Oberlandesgericht Bayern folgte dieser Argumentation, nachdem der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des Landgerichts Beschwerde eingelegt hatte. Auch den Vorwurf, dem Gefangenen sei kein rechtliches Gehör gewährt worden, wies das Oberlandesgericht zurück.
Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hatte hingegen Erfolg. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts: Die Entscheidung des Landgerichts über die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Grundgesetz.
Auch Gefangene sind selbstverständlich Träger von Grundrechten. Diese werden verletzt, wenn in unverhältnismäßiger Weise in sie eingegriffen wird. Durchsuchungen des entkleideten Körpers, insbesondere wenn, wie hier geschehen, verdeckte Körperöffnungen durchsucht werden, berühren den Intimbereich und das Schamgefühl der Gefangenen und greifen daher besonders schwer in das Persönlichkeitsrecht ein.
Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Rechtfertigung einer solchen Durchsuchung, die vor allem der Verhinderung des Drogenschmuggels in die JVA dienen. Grundsätzlich dürfen auch persönlich unverdächtige Gefangene durchsucht werden, da stets die Möglichkeit besteht, dass sie von anderen Gefangenen unter Druck gesetzt werden. Die Bediensteten müssen aber stets nachvollziehbar darlegen, ob ein solcher Missbrauch im Einzelfall nicht ausgeschlossen und eine Durchsuchung verhältnismäßig ist. Im vorliegenden Fall haben sie jedoch lediglich ein einfaches Formblatt ausgefüllt, das keinen Raum für eine Begründung dieser Annahmen ließ. Dies sei nicht ausreichend, um die besonders eingriffsintensive Maßnahme zu rechtfertigen. Die Gerichte haben den Gefangenen somit in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, indem sie die unzureichende Begründung der Durchsuchung genügen ließen.
Zudem hätte das Landgericht prüfen müssen, ob es nicht mildere Maßnahmen gab, den Drogenhandel zu unterbinden. Insbesondere nennt das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Verwendung besonderer Anstaltskleidung mit verschlossenen Nähten, sodass es ausgeschlossen wäre, während des Besuchs Drogen am Körper zu verstecken.
Schließlich wurde auf dem Formblatt die Anwesenheit des Auszubildenden nicht vermerkt. Auch dieses beanstandete das Bundesverfassungsgericht sowie den Umstand, dass nicht in Erwägung gezogen wurde, die Durchsuchung lediglich zu zweit durchzuführen.
Somit haben das Land- und das Oberlandesgericht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gefangenen nicht ausreichend berücksichtigt.
Der Beschluss zeigt, dass die Arbeit des Strafverteidigers nicht mit der Rechtskraft eines Urteils endet. Vielmehr schließen sich noch die Strafvollstreckung (das „Ob“) und der Strafvollzug (das „Wie”) an diese an.