Dass das Thema „gefälschte Impfausweise“ die Strafjustiz einmal so sehr beschäftigen wird, konnte sich bis vor kurzem kaum jemand vorstellen. Doch auch wenn die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie momentan gelockert sind und nur noch selten ein Impfnachweis vorgezeigt werden muss, ist die Frage der Strafbarkeit der Benutzung gefälschter Impfpässe für die Staatsanwaltschaften und Gerichte brandaktuell.
So auch für das OLG Celle, das am 31.05.2022 über eine Revision entschieden hat (Az. 1 Ss 6/22): Der Angeklagte soll im Juli letzten Jahres in der Apotheke einen gefälschten Impfausweis vorgelegt haben, um den begehrten QR-Code als Nachweis der Covid-19-Impfung zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Urkundenfälschung, doch das Amtsgericht Stade sprach ihn aus rechtlichen Gründen frei. Diese Entscheidung hob das OLG Celle nun auf.
Der juristische Hintergrund: Ende November 2021 hat der Gesetzgeber § 279 StGB, den Straftatbestand des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse, angepasst. Bis dahin war nur die Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses vor einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft zur Täuschung über den Gesundheitszustand von der Norm umfasst. Heute ist der Tatbestand wesentlich weiter und umfasst jeglichen Gebrauch eines Gesundheitszeugnisses zur Täuschung im Rechtsverkehr unter Androhung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Neu hinzugekommen ist zudem ein Subsidiaritätserfordernis, wonach die Norm nur dann eingreift, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit einer höheren Strafe bedroht ist, eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung wird also explizit nicht ausgeschlossen.
Erst seit Ende letzten Jahres kann mithin von § 279 StGB umfasst werden, einen gefälschten Impfausweis zum Beispiel in einer Apotheke vorzulegen. Schon Mitte des Jahres war jedoch der Nachweis einer erfolgten Impfung gegen Covid-19 vielerorts Voraussetzungen. Viele der Fälle, wie auch der vor dem OLG Celle, fallen somit in die Zeit vor der Gesetzesänderung und bleiben von dieser unberührt. Denn es gilt der Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (§ 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG): Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Viele Gerichte beschäftigen sich daher aktuell mit der Frage, ob und wie ein Gebrauch falscher Impfpässe nach alter Gesetzeslage bestraft werden kann.
Das OLG Celle hat nun entschieden, dass auch Angeklagte, die vor November 2021 gefälschte Impfpässe benutzt haben sollen, deswegen bestraft werden könnten: Wegen des Gebrauchs einer unechten Urkunde und somit wegen Urkundenfälschung, § 267 StGB. Das Gericht argumentierte, die alte Gesetzesfassung des § 279 StGB habe keine Bestrafung wegen Urkundenfälschung verhindern sollen, es handle sich aus verschiedenen Gründen gerade nicht um eine Privilegierung. Außerdem habe der Impfausweis mit der Chargenbezeichnung des Impfstoffes eine Erklärung erhalten, die gerade kein Gesundheitszeugnis darstelle.
Damit schließlich sich das Gericht zwar an einige oberlandesgerichtliche Entscheidungen an. Zahlreiche Landesgerichte und auch das OLG Bamberg (17.1.2022, Az. 1 Ws 732–733/21) sehen dies jedoch anders. Letzteres hatte Anfang des Jahres in einem Verfahren zu entscheiden, in dem die Beschuldigten einen gefälschten Impfausweis an einen verdeckten Ermittler verkauft haben sollten. Das Gericht stellte klar, dass die Vorschriften über unrichtige Gesundheitszeugnisse in ihrer alten Fassung als Spezialvorschriften einen Rückgriff auf die härter bestraften Vorschriften der Urkundenfälschung sperrten. Es habe sich dabei um abschließende Regelungen gehandelt, wie an der systematischen Stellung und dem historischen Hintergrund zu erkennen sei: Zur Zeit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert seien Aussagen über den Gesundheitszustand wesentlich vager gewesen als heute, was die Normen berücksichtigten sollten. Außerdem käme es bei einer Anwendung der Urkundenfälschung zu einem offensichtlichen Widerspruch: Aufgrund der unterschiedlichen Tatbestandsmodalitäten würde dann derjenige, der einen Impfpass fälscht, aber nicht gebraucht, nach der strengeren Norm (§ 267 StGB) bestraft als derjenige, der die Fälschung auch tatsächlich einsetzt (§ 279 StGB alte Fassung).
Der Fall zeigt, dass hinsichtlich der Straftaten mit Bezug zur Corona-Pandemie immer noch Unklarheiten bestehen. Zu denken ist nicht nur an gefälschte Impfpässe, im Zuge der Pandemie spielen auch der Subventionsbetrug durch Corona-Hilfen, Straftaten nach dem Infektionsschutzgesetz oder zum Beispiel mit Bezug auf gefälschte Testzertifikate eine Rolle. Eine gute Strafverteidigung ist daher umso wichtiger – wir sind stets auf dem aktuellen Stand der Rechtsprechung und Wissenschaft und können Sie kompetent beraten.