In der Konstellation Aussage gegen Aussage muss das Gericht Zeugenaussagen besonders kritisch prüfen. Hatte der Zeuge im Vorfeld Akteneinsicht, kann dies die Glaubhaftigkeit seiner Aussage verringern. Das Landgericht Köln hat in einem solchen Fall daher nun dem Rechtsanwalt des Opfers einer Straftat die Akteneinsicht verwehrt.
Zum Sachverhalt (LG Köln, Az.: 113 Qs 35/20): Dem Angeklagten wird die Vergewaltigung, Bedrohung und Körperverletzung seiner Ehefrau vorgeworfen. Er selbst äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Einziges unmittelbares Beweismittel ist somit die Aussage der Frau, die zudem als Nebenklägerin am Verfahren teilnimmt. Der Rechtsanwalt, der sie bei der Nebenklage vertritt, scheiterte mit seinem Antrag auf Akteneinsicht, denn das Gericht sah dadurch den Untersuchungszweck gefährdet.
Ein Recht auf Akteneinsicht hat nicht nur der Verteidiger eines Beschuldigten (§ 147 StPO), sondern gemäß § 406e StPO grundsätzlich auch der Rechtsanwalt des Verletzten einer Straftat. Versagen kann das Gericht die Gewährung von Akteneinsicht nach eigenem Ermessen jedoch unter anderem dann, wenn diese den Untersuchungszweck gefährden würde.
Der Untersuchungszweck ist im Strafverfahren die Erforschung der Wahrheit. Diese ist jedoch in Aussage-gegen-Aussage-Situationen naturgemäß erschwert: In solchen Fällen widerspricht der Angeklagte den Vorwürfen des Belastungszeugen oder schweigt zu diesen, und es stehen keine weiteren unmittelbar tatbezogenen Beweismittel zur Verfügung. Dann ist das Gericht verpflichtet, die Aussage des Zeugen einer besonders strengen Prüfung zu unterziehen. Besonders wichtig ist dabei die Kontrolle der inhaltlichen Konstanz der Aussage: Ist der Zeuge seiner Aussage über verschiedene Vernehmungen hinweg treu geblieben oder widersprechen sich seine Angaben an relevanten Stellen? In letzterem Fall liegt ein klares Indiz für die Unwahrheit der Aussage vor. Hat das Opfer jedoch über seinen Nebenklägervertreter Zugang zum Akteninhalt, kann es sich damit auf seine Aussagen vorbereiten, sich seine bisherigen Angaben einprägen und eine mögliche Falschaussage somit leichter aufrechterhalten.
Vor diesem Hintergrund entschied das Gericht, dass dem Rechtsanwalt der Nebenklägerin Akteneinsicht im vorliegenden Fall nicht zu gewähren ist, um den Untersuchungszweck nicht zu gefährden. Dies komme letztlich vor allem der Verletzten selbst zugute — denn so könne der Verdacht, sie habe sich mit der Akte auf die Hauptverhandlung vorbereitet, um eine mögliche Lüge aufrecht zu erhalten, gar nicht erst aufkommen.
Der Nebenklagevertreter widersprach dieser Einschätzung und versicherte, den Akteninhalt nicht mit seiner Mandantin zu teilen und die Akte in seinem Privatarchiv einzuschließen. Dies stellt eine gängige Praxis dar und wird von Teilen der Rechtsprechung akzeptiert. Das Landgericht Köln wies jedoch darauf hin, dass die Einhaltung der Zusage des Rechtsanwalts nicht kontrollierbar ist und er sich damit nicht zuletzt in Spannung mit der Berufsordnung für Rechtsanwälte begibt: Nach dieser muss ein Rechtsanwalt seinen Mandanten stets über wesentliche Vorgänge berichten und ihm im Fall eines Mandatswechsels sogar die Handakte herausgeben.
Der dargestellte Beschluss zeigt einmal mehr, dass es stets Aufgabe der Strafverteidigung ist, zu dem Akteneinsichtsgesuch der Nebenklage Stellung zu nehmen und diesem aus den dargestellten Gründen zu widersprechen.